Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen

1992 wurden Asylbewerber am Sonnenblumenhaus angegriffen. Damals waren wir noch nicht auf der Welt, aber dadurch, dass wir in diesem Stadtteil leben, wurden wir immer wieder mit diesen Ereignissen konfrontiert. Jetzt sind wir Schülerinnen der Klassenstufe 8 und 9 der Hundertwassergesamtschule in Lichtenhagen und engagieren uns im Projekt "Schule ohne Rassismus".

Viel haben wir darüber geredet in den letzten Schuljahren.  Es muss damals ein Zusammentreffen vieler unglücklicher Umstände gegeben haben. Anders ist uns nicht zu erklären, wie monatelang Asylbewerber ohne ausreichende sanitäre Einrichtungen und Nahrungsmitteln vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber kampieren mussten. Es waren sicherlich auch Familien mit Kindern dabei. Wir selbst sind zwar jetzt schon die "Großen" in der Schule, aber trotzdem sind wir Kinder und können vieles nicht verstehen.

Nachdem es zuvor schon zu einigen Ausschreitungen gegen ausländische Bewohner des „Sonnenblumenhauses“ gekommen war, versammelten sich am 22. August 1992 viele Jugendliche in der Nähe des Gebäudes. Sie begannen, ausländische Menschen, die sich vor dem Sonnenblumenhaus aufhielten, mit Steinen zu bewerfen. Die sind dann schnell in das Haus geflüchtet. Die Jugendlichen warfen dann die Fensterscheiben ein. In den folgenden Nächten kamen immer mehr gewalttätige Jugendliche, die sich an den Ausschreitungen gegen die ausländischen Menschen oder an Attacken gegen die Polizei beteiligten.

Am dritten Tag der Angriffe, am 24. August, evakuierte man die Zentrale Aufnahmestelle. Das danebenliegende  Wohnheim wurde aber nicht evakuiert, weil man glaubte, hier würden nur Deutsche leben. Tatsächlich hielten sich dort aber 115 Vietnamesen auf, die nun Opfer der Angriffe wurden. In dieser Nacht flogen wieder Steine und auch Molotowcocktails in das Gebäude. Die vietnamesischen Familien konnten auf das Dach des Hauses fliehen. Die Feuerwehr kam auf Grund der Gewaltbereitschaft nicht zum Löscheinsatz. Und auch die Polizei konnte der Feuerwehr nicht helfen, da sie den Neonazis kräftemäßig unterlegen war. Erst in der nächsten Nacht wurden noch weitere Polizeikräfte geholt und die Ausschreitungen mit Wasserwerfen unter Kontrolle gebracht.



Viele Lichtenhäger Bürger verfolgten die Ausschreitungen ohne einzuschreiten, so meine Mutti. Auf die Frage: „Warum?“, konnte Sie nur Vermutungen anstellen. Sie sagte, es gab eine allgemeine Orientierungslosigkeit nach der Wende. Die Menschen wussten nicht, ob sie ihre Arbeit verlieren und wie es nun weiter gehen soll. Frust staute sich auf und wurde auf die Asylbewerber vor dem Sonnenblumenhaus übertragen. Außerdem gab es wenige Migranten in der DDR, so dass die meisten Menschen nicht gelernt haben, mit anderen Kulturen umzugehen. Alles schien so fremd.  Danach war alles nur noch ein Selbstläufer, ein Kreislauf, eine Spirale die nach oben geht und alles eskalierte.
 
Der Höhepunkt dieser Ereignisse war ein brennendes Sonnenblumenhochhaus, welches wir Kinder eigentlich als schönes Haus wahrnehmen. Durch diese Ereignisse ist es aber so negativ behaftet. Wir finden das furchtbar schade und wollten die 3 Sonnenblumen am Haus wieder positiv besetzten. 2007 haben wir dann an dem Projekt „3 Sonnenblumen für Lichtenhagen“ teilgenommen und einen Song, ein Video und eine Radiosendung gegen Rechts produziert. Das Projekt war sehr erfolgreich und wir haben den 2. Platz des „Deutschen Kinderpreises“ erhalten. Heute leben in Lichtenhagen viele Ausländer mit uns zusammen und wir sind eine neue Generation mit mehr Toleranz und Courage. Schön, dass wir Geschichte neu schreiben können! 
 
Zeitenspringerteam: 
Francesca Schütt 9I, Laura Sommer 8II, Schülerinnen der Hundertwasser Gesamtschule
 
Foto: Sonnenblumenhaus mit Plakat gegen Rechts im Vordergrund
 
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